Als Kind, so erzählte mir meine Mutter, war ich eher brav und pflegeleicht. Als Jugendlicher war ich wild und ein Draufgänger. Ich hatte vor wenigen Dingen Angst und habe mir viel zugetraut. Das blieb lange so. Ich spielte in einer Heavy-Metal Band und das Gefühl, auf die Bühne zu gehen und Musik zu machen, befreite mich. Es befreite mich von den Gedanken, die mir im Kopf herumschwirrten. Von Gedanken, die mich als anderen Menschen, als Feigling zeigen würden. Doch eigentlich bin ich mutig. Ich stelle mich vor vielen Zuschauern auf die Bühne und singe. Oder setze mich in eine Talkrunde und diskutiere, ich knüpfe Kontakte mit Wildfremden und traue mir sehr viel zu. Ich bin eine Art lebendes Schweizer-Taschenmesser. Aber in bestimmten Situationen in meinem Leben war ich feige.

Es ist okay Angst zu haben, aber…

Sicher ist es okay, Angst zu haben. Ich rede hier aber nicht über meine Höhenangst, der ich mich bei jeder Gelegenheit stelle. Ich rede von einer Angst, die einschnürt, die lähmt und die ich eine Zeit lang nur mit Verdrängung besiegen konnte. Es war eine Angst, der ich mich nicht stellen konnte. Eine Angst, die mir zeigt, wie ich als Mensch versagt hatte. Ein Gefühl, eine Emotion, mit der es sich schwer leben lässt. Das Verdrängen hat es etwas erträglicher gemacht, aber mit jedem Tag, mit jeder Stunde und jeder Minute die verging, wurde es eigentlich schlimmer. Ich hatte die Angst mit der Verdrängung nie besiegt, ich habe sie nur im Geheimen wachsen lassen. Ich war also nicht mehr, als ein mutiger junger Mann, der Angst vor der Wahrheit hatte.

Diese Angst entwickelte sich. Wie ein Drachen, der mit jedem Tag größer wurde, stärker und mächtiger.

Mir war immer klar, dass ich mich irgendwann auch dieser Angst stellen müsste. Doch ich fühlte mich dafür nie bereit. Wie sollte ich das auch tun und was sollte ich sagen? Was sagt man einem Menschen, dessen ganzes Leben man bis zu diesem Zeitpunkt verpasst hatte und an dem man eigentlich hätte teilhaben sollen? Wie spricht man mit seiner Tochter, deren Vater ich bin und deren Gesicht ich nie zuvor gesehen hatte? Was sagt man diesem Menschen, dessen ganzen ersten Male ein anderer Vater begleitet hatte?

„Du musst deinen Söhnen sagen, dass sie eine Schwester haben!“

Meine Frau ist manchmal unerbittlich und realistisch. Ich weiß, dass ich es irgendwann unseren Söhnen sagen muss. Dann muss ich mich aber auch dem stellen, das mir soviel Angst macht. Doch was macht mir eigentlich Angst? Es sind die vielen Fragen, die ich mir stelle. Diese Fragen, die jedes Jahr mehr wurden und die ich alleine nicht beantworten kann. Es sind Fragen, die ich nur einer Person stellen kann – und nur eine Person kann diese Fragen beantworten.

Doch was ist, wenn diese Person, meine Tochter, weder die Fragen hören, noch beantworten möchte? Was, wenn die Antworten auf die gestellten Fragen zwar beantwortet werden, aber mein Versagen als Vater und Mensch nur noch vergrößern? Was, wenn nicht alles gut war und was, wenn Sie mich vermisst hatte? In meiner Situation hoffte ich immer, dass es ihr gut geht, dass es ihr an nichts fehlte. Dass sie mich nicht vermisst und dass sie ein schönes Leben hat. Doch es nicht zu wissen, machte mir Angst.

Hier geht’s zum Teil 1 von der Piraten-Tochter und hier zur Einleitung der Serie unserer Momente. Den dritten Teil und alle weiteren findet ihr auch unter „MOMENTE„.


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